Wir waren Pokal

„Hoch werden wir den Kampf nicht mehr gewinnen.“ meinte Lübecks Ulli Krause zu mir, und auch ich hatte mich inzwischen auf unseren Einzug ins Achtelfinale eingestellt. 2-0, Almar stand auf Gewinn und Roman ausgeglichen. Was sollte noch schiefgehen?

 Doch zurück zum Samstag. Almar, Stefan, Jackenverweigerer Roman und ich hatten sich bei -11 Grad ins immerhin südlicher gelegene Hameln aufgemacht, um uns bei der Vorrunde der Deutschen Pokalmannschaftsmeisterschaft gegen die Teams des Deutschen Blindenschachbunds, Lübeck und des Gastgebers für die Zwischenrunde zu qualifizieren.

 Am Samstag bescherte uns das Los die Auswahl des Blindenschachbunds, und damit neue Spielerfahrungen. Auf dem eigentlichen Partiebrett führen nur wir „Sehenden“ die Züge aus. Die Sehbehinderten haben ihre eigenen Tastbretter mit speziellem Profil. Züge werden angesagt. Trotz dieser ungewohnten Umstände entwickelte sich eine normale umkämpfte Pokalschlacht. Stefan sollte am Autofahrerbrett dagegenhalten, Roman und ich an Brett 3 bzw. 2 unseren Aufschlag durchbringen und Almar an 1 seine FM-Ambitionen untermauern.

 Tatsächlich konnten wir uns relativ ungefährdet durchsetzen. Romans und Stefans Pokalserien hielten (Roman hatte bis dato alle Partien gewonnen, Stefan alle remisiert). Almar haderte etwas, da er mittels Figurenopfer für 3 Bauern eine Gewinnstellung herausgespielt hatte, dann aber nur die Züge wiederholte. Tröstlich war allerdings, dass er damit de facto unser Weiterkommen gesichert hatte, denn meine Verlustchancen tendierten gegen Null (siehe unten).

 In dieser Partie lagen meine größte Stärke und Schwäche nah beieinander. In einer komplexen Mittelspielstellung, in der ich die Initiative besaß, konnte ich Druck aufbauen, bis der Gegner Milch gab. Zur Besänftigung trat er einen Bauern ab. Danach agierte ich aber an einer Stelle zu flusig und verspielte einen großen Teil meines Vorteils.

 Wohin sollte der König in der vorliegenden Stellung ziehen?

Voigt – Schellmann

 

 

Kf4!? Nach 54. Kg6 versandet die Partie mit 54… Kb4 55. Ld1 Kc3 56. f6 Sxf6 57. Kxf6 Kd2 58. Lg4 Kc3 59. Le6 Kb4 nebst a4 zu schnell im Remis. 54… Sc3? Das verliert. Stattdessen hält 54… Kd4. Nach beispielsweise 55. Lf3 Sf6 56. Kg5 Ke5 kommt Schwarz nie in Zugzwang, während ein Königsmarsch in Richtung Damenflügel Schwarz genug Zeit gibt, den Springer gegen den b3 zu opfern oder den f5 abzuholen und das Bauernendspiel mir a5-a4 remis zu halten. 55. Ke5! Kc6 Nach Sxe2 läuft der f-Bauer durch. 56. Lf3+ Kd7 57. f6 Ke8 Auf 57… a4 hatte ich Lc6+ geplant. Nicht aber 58. bxa4 Sxa4 59. Lc6+ Kxc6 60. f7 Sc5 =. 58. Kd4 Sa2 59. Ld5 und Weiß gewann.

 Lübeck hatte mittlerweile den Gastgeber mit 3-1 bezwungen, so dass wir uns Gedanken über die sonntägliche Aufstellung machen konnten. Nachdem ich diverse Male in Blitz- bzw. Schnellpartien gegen Ulrich Krauses Katalanen eingegangen war, zog ich Ralf Christ als Gegner vor, während Almar an Brett 1 seine Spielstärke zur Geltung bringen sollte. Lübeck machte uns allerdings einen Strich durch die Rechnung, indem sie die Bretter tauschten.

Nichtsdestotrotz ließ sich der Kampf gut an. Stefan gelang es, frühzeitig die Damen zu tauschen, während ich Ulli Krause durch eine petite combinaison einen Bauern mopsen konnte. Almar lehnte in bereits besserer Stellung ein Remisangebot ab, um kurz danach materiell eine Qualität in Führung zu gehen. Stefan gewann und die kleine Kombi hatte mir nicht nur einen Mehrbauern, sondern auch noch die aktiveren Figuren beschert. Die technische Umsetzung meinerseits fand erfreulich viel Zustimmung von Houdini, so dass wir uns jetzt chronologisch beim Artikelstart wiederfinden.

 In der Erwartung des sich abzeichnenden Pokalsiegs schaute ich ein wenig bei Stefans Analyse und dem Training der Sehbehindertenmannschaft zu, bevor ich mal wieder einen Blick auf die noch laufenden Partien warf. Doch was war das? Almar hatte sich bei der Verwertung der Mehrqualle verdribbelt und konnte nur zusehen, wie die weißen Freibauern in Richtung Touchdown liefen. Bei Roman war die Stellung noch geschlossen und ausgeglichen. Die Ruhe vor dem Sturm. Und die Berliner Wertung sprach gegen uns.

Nach Almars Aufgabe öffnete sich die Stellung bei Roman. Beide Seiten bekamen auf einmal irrsinnig viele Freibauern. Unmöglich, alles genau durchzurechnen, und die Uhr tickte. Mehrmals machte Roman mit weniger als 5 Sekunden auf der Uhr seinen Zug. Doch dann reichte es nicht mehr. Rettungsmöglichkeiten waren nicht mehr zu finden, die Stellung verloren, die Zeit abgelaufen. 2-2, und wir waren ausgeschieden. Bitter!

 Besonders Almar war angefressen, nachdem er zweimal mit Schwarz Leute mit um und bei 2300 überspielt hatte, daraus aber nur ein halber Punkt resultierte. Und Roman erfuhr, dass Stefan entgegen seines Eindrucks gewonnen hatte und nicht remisiert. Ein Remis bei ihm hätte gereicht, er musste gar nicht gewinnen. Wer weiß, welchen Verlauf seine Partie sonst genommen hätte.

 Sei es, wie es sei. Mir haben die beiden Kämpfe trotzdem Spaß gemacht. Ein Dank an Stefan für die Organisation und auf ein Neues am 9.2. gegen St. Pauli.