Hamburger Einzelmeisterschaft – so fühlt es sich an.

Bei der HEM starteten immerhin – aber irgendwie auch „nur“ fünf Diogenesen – in der Kandidaten- und der A-Klasse.

https://www.hamburger-schachverband.de/hem2024/hem2024.htm

Torsten gewährt Einblick in (s)eine durchschachte Woche.

Mentale Belastung eines 9-Runden-Turniers
Gerade habe ich am Turnier zur Hamburger Einzelmeisterschaft (HEM) in der
Kandidatenklasse teilgenommen. Das Ergebnis, Platz 9 von 20 Teilnehmern sowie 4,5 Punkte
aus 9 Partien, entspricht voll und ganz meiner Zielsetzung.
Lange zögerte ich mit der Anmeldung für das Turnier, weil ich die Strapazen aus dem
vergangenen Jahr noch gut in Erinnerung hatte. An neun aufeinander folgenden Tagen
ernsthafte Partien gegen gleichfalls motivierte und annähernd gleichstarke Gegner zu
spielen, ist nicht ohne. Als ich mich dann doch zur Teilnahme entschied, war ich ausgeruht,
körperlich fit, draußen war schönes Wetter, ich hatte kürzlich online einen stärkeren Gegner
besiegt, und meine Überlegungen waren, dass die lange Bedenkzeit meinem Spielstil
entgegenkommt und der frühe Spielbeginn nicht die Gefahr birgt, vor Müdigkeit eine Partie
nur noch schnellstmöglich beenden zu wollen, so wie ich es schon einmal bei einem spät
endenden Mannschaftskampf erlebt hatte. Endlich könnte ich mal in Ruhe Endspiele
ausspielen. Und schließlich bin ich doch nicht so alt, dass ich keine Turniere mehr spielen
kann.
Dann fing das Turnier an. Es war wie immer: Jetzt war nur noch Schach von Bedeutung. Alles
andere musste zurückstehen, ordnete sich dem Schachspiel unter. Ich freute mich über gute
Züge, ärgerte mich über ausgelassene Chancen (siehe Partiefragment unten), zollte meinen
Gegnern Anerkennung für gelungene Aktionen, analysierte abends die jeweils aktuelle Partie
und fiel erschöpft ins Bett. Morgens war ich früher wach als sonst, sofort drängten sich mir
Gedanken mit Bezug zum Schachturnier auf, und ich bereitete mich gewissenhaft auf meine
Gegner vor, soweit es die begrenzte Zeit zuließ.
Selbstverständlich kostete das Turnier Kraft, aber eigentlich empfand ich die mentale
Belastung während des Turniers als nicht sonderlich beeinträchtigend. Bei schachfremden
Themen war ich vielleicht etwas fahrig und unkonzentriert – aber so etwas ist während eines
Turniers ja auch wirklich nachrangig. Erst als ich in der letzten Runde gleich dreimal am Brett
gezeigt bekam, dass ich fehlerhafte Berechnungen durchgeführt hatte, wurde mir klar, dass
das Turnier wohl doch seine Spuren hinterlassen haben musste….
Nach den 9 fordernden Partien fühle ich mich nun total erschöpft und leer, brauche
dringend Regeneration. Meine Frau fragt mich besorgt, was mit mir los sei, ich würde so
abwesend wirken. Aktuell sage ich mir, nächstes Jahr tue ich mir das nicht noch einmal an,
spiele nicht wieder die HEM. Aber wenn in 2025 die Ausschreibung veröffentlicht wird, bin
ich wahrscheinlich wieder ausgeruht, schachhungrig und habe nur noch vage in Erinnerung,
wie anstrengend ein 9-Runden-Turnier sein kann.
Andere Spieler brachen das Turnier nach wenigen Runden ab, traten zu einzelnen Partien
nicht an oder unterbreiteten dem Gegner mit dem 1. Zug ein Remisangebot. Sicherlich isind
auch das Möglichkeiten auf mentale Belastung zu reagieren.

Hier nun aus einer meiner Partien etwas zum Thema ‚Ausgelassene Chancen‘. Gegen Thomas
Becker vom Volksdorfer SK, den letztlich Zweitplatzierten, gab es nach einer interessanten
Eröffnung folgende Stellung:
1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 e4 4.Sg5 b5 5.d3 ed 6.cb de 7.Lxe2 Lb7 8.0-0 Le7 9.Db3 0-0 10.Lf4 h6
11.Sf3 d6 12.Sd4 Dd7 13.Tfd1 a6 14.Tac1 ab 15.Sdxb5 Sc6 16.Sd5 Sxd5 17.Dxd5 Sd8

Obwohl mein Aufbau in den vorangegangenen Zügen gegen c7 gerichtet war und ich
17….Sd8 als schwachen Zug bewertete, scheute ich hier vor dem Qualitätsopfer 18.Txc7
zurück, weil ich das Abspiel 18…Dxc7 19.Sxc7 Lxd5 20.Sxd5 Lg5 21.Lxg5 hg vor Augen hatte
und leider nicht erkannte, dass 21.Lxd6 den weißen Vorteil hält. Mein Gegner wies mich
nach der Partie auf diesen Sachverhalt hin. Ich glaube, ich fürchtete in meiner
Vorausberechnung einen Doppelangriff mit …Td8, den es aber nur in meinem Kopf gab, da
dort momentan ja noch der schwarze Springer steht. So zog ich 18.Dc4 und wollte nicht
wahrhaben, dass sich die Partie nach 18….Se6 zugunsten meines Gegners gewendet hatte.
Mit 19.Lg4 versuchte ich eine Fesselung aufzubauen, aber Schwarz zeigte mir mit 19….La6,
wie eine wirklich effektive Fesselung aussieht. Es folgte 20.a4 c6 und in meiner Verzweiflung
probierte ich noch 21.Lxe6 fe 22.Lxh6. Zwanzig Züge später war aber klar, dass die schwarze
Mehrfigur gewinnt.