Chess960- oder „Freestyle-Chess“-Festival in Kiel

Die Schach960-Stiftung https://schach960.org stellte unter Leitung von Ulrich Zenker und unter ziemlich perfekter Ausrichtung, einschließlich Übertragung an 20 DGT-Brettern, des SK Doppelbauer Kiel ein beeindruckendes Turnier auf die Beine!Es war die sechste Auflage des jährlichen Turniers, das zuletzt zweimal in Berlin und vorher in Bad Aibling stattfand. Mithilfe der Sponsoren aus den Bereichen Software-Entwicklung, Immobilien und Wohnungswirtschaft entstand ein Preisfond, der einige Titelträger anlockte und darüber hinaus auch uns Hobbyspielern die Chance eröffnete, ein sehr preiswertes, schönes Schachwochenende zu erleben. Dazu trugen auch die günstigen, vom BM für Inneres geförderten Unterkünfte im Olympiahafen (1972!) bei, die uns im Haus der „Athleten“ zur Verfügung standen.

Das Wetter in Schilksee verlockte am Sonnabend zum Wandeln an Strand und Yachthafen und zum Eiscafé; am Sonntag kam man daregen noch nicht mal zum Fischbrötchenstand durch – daneben versuchten wir in der Vaasahalle, die viele noch von den Mannschaftsturnieren am 1. Mai erinnern müssten, den Bundesliga- und Nationalspielern zu widerstehen – das gelang kaum;-). Wir (Christian K, Ralf, Thomas) brauchten alle etwas Eingewöhnung, denn einerseits war das Feld sehr stark und kämpferisch – einschließlich der nicht so hoch bezifferten Spieler (neben leider nur einer Spielerin) und andererseits habe zumindest ich die 25 Min. + 30 Sek./Zug überschätzt, denn im Schach960 beginnt die Grübelei mit dem ersten Zug; es gab keine Vorbereitungszeit wie etwa bei den Superprofis im aktuellen Freestyle-Grandslam. Damit steht man in komplizierten Mittelspielstellungen (Die kann ich gut herstellen!) dann schnell mal mit wenigen Minuten Restzeit da, versucht den Ausheber in aussichtsreicher Stellung zu finden, findet leider nur Unübersichtliches und fällt in die nächste Falle, weil man auch mal einen schnellen Zug machen möchte …  In Runde 1 fanden wir alle unseren Meister – ich hatte dabei gegen den Topgesetzten Alexander Donchenko nach anfänglichen Problemen zwar den Ausgleich hergestellt – aber dann … s. o. … Taktik ist ubiquitär! Aus Ermangelung schnellerer Interviewpartner durfte ich nach einer Kurzpartie mit meinem ersten Gewinn in Runde 3 mit Ulrich Zenker zum Thema philosophieren als die Analysespezialist*innen Victoria Berdin und GM Stefan Kindermann Pause machten: Interview

Wir kamen alle zu unseren Highs und Lows – mein Low war in Runde 2 als ich dem freundlichen Hobbyspieler, Hüseyin Turp unterlag (Muster: s. o.), der am Morgen des dritten Tages noch genau diesen einen Punkt auf der Uhr hatte – naja – das High folgte ja immerhin auch noch und diese Bandbreite gibt es ja wirklich nur im Schachsport! Interessant waren unter anderem Ralfs langer Generationenkonflikt gegen einen vermeintlich noch nicht 10 Jahre alten Jungen in Runde 8 (nicht aufgezeichnet) und Christians positionelles Glanzstück (dxc5!) in Runde 9. Am Ende fuhren wir sogar mit einem Rating- und zwei Seniorenpreisen nach Haus, weil wir in der Abschlussrunde ein 3:0 hinlegten; auf die Schlussstellung an Tisch 10 bin ich etwas stolz :-) – ein sehr seltener Moment in der Amateurlaufbahn: Runde 9

Überraschend gewann das Turnier Ilja Schneider (7/9), der mit fröhlicher Familie an den Ostseestrand gekommen war – gute Laune führt zu guter Leistung! Alexander Donchenko konnte aber  favoritengerecht punktgleich Platz 2 sichern.

Nicht nur wegen des schönen Abschlusses denke ich, dass Schach960 nun endlich ins Rollen kommt. Es ist aus meiner Sicht kreativer als das oft bekannten Mustern folgende klassische Schach; der Zeitfresser Eröffnungstheorie kann getrost auf einige Prinzipien reduziert werden und man kann sich stattdessen mit Taktik, Mittelspielideen und Endspieltechnik dem eigentlichen Schachkampf zuwenden – was nichts daran ändert, dass Meister des Fachs auch im Nebenfach Meister bleiben und dass bemerkenswerte Partien aus der klassischen Aufstellung viel leichter zu zitieren und zu erinnern sind.