In der vierten Runde des HASPA-Schachpokal 2016 kam es in Bargteheide zum Duell zweier Spieler, die sich aus zahlreichen Partien gut kennen. Diese Partie wurde letztendlich erst nach 156 Zügen entschieden und bietet viele lehrreiche Momente. An dieser Stelle möchte ich den Organisatoren des HASPA-Schachpokal danken, dass sie so ein Turnierangebot schaffen und schon schnell nach Partieende die Partien der ersten zehn Bretter veröffentlichen:
Markus Hochgräfe (2383) – Jan-Paul Ritscher (2248)
Stellung nach 41. De4
Nach der Zeitkontrolle hat Weiß mehr Raum und das bessere Figurenspiel und daher deutlichen Vorteil. Nun gibt es jeweils 30 Minuten für den Rest der Partie und zusätzlich 30 Sekunden Bonus pro Zug.
41…Teg8 42.Df5 De8 43.Ld2 Lc7 44.Th6 De7 45.Dh5+ Kf8 46.Dh4 Ld8 47.Lf4 Df7 48.Le5 Tg6 49.Th7 T6g7 50.Ld6+ Ke8 51.Th6
Die weißen Figuren drücken die schwarzen Figuren in die Verteidigung, doch welcher Schwachpunkt wird Schwarz zum Verhängnis?
51…Tg6
Wie soll Weiß auf das Tauschangebot eingehen? – Hier ist langes Nachdenken erforderlich, das in dieser Bonus-Phase der Partie vermutlich nicht mehr gut möglich war. – Die Pointen ergeben sich erst im 55. oder 57. Zug!
[Jetzt sind Sie am Zug. – Was hat Ihr intensives Nachdenken ergeben? – Wir lassen zunächst die Partiezüge folgen:]
52…Txg6 53.Dh5 f5 54.Dh8+ Tg8 55.De5 Tg6 56.d5 cxd5 57.Lxd5 Th6 58.b4 Dh7 59.Kg1 Lg5 60.a3 Kf7 61.Lg2
Der weiße Vorteil ist nicht mehr so erdrückend wie noch zehn Züge zuvor. In der weiteren Folge konnte Markus zwar eine Figur erobern, doch nach mehr als fünfzig weiteren Zügen ist die folgende Stellung entstanden:
115.Kxe5
Weiß hat seinen letzten Bauern schon im 103. Zug gegeben und hat nun einen Fünfsteiner erreicht, der bei bestem Spiel zum Remis führt, doch der Verteidiger muss unter Zeitdruck genau spielen.
115…Ta1 116.Tb4 Te1+ 117.Le4+ Kc3 118.Tb8 Kc4 119.Tc8+ Kb5 120.Tc2 Kb6 121.Kd4 Td1+ 122.Kc4 Tg1 123.Tb2+ Kc7 124.Kc5 Tc1+ 125.Kd5 Tg1 126.Tc2+ Kd7 127.Lf5+ Ke7 128.Ke5 Te1+ 129.Le4 Kd7 130.Tc3 Ta1 131.Lf5+ Kd8 132.Tc8+ Ke7 133.Tc7+ Kd8
134.Td7+
Der schwarze König ist schon einmal an den Rand gedrängt.
134…Ke8 135.Kf6 Ta6+ 136.Le6 Ta1 137.Tc7 Td1 138.Tc8+ Td8 139.Tc2 Td1 140.Tc3 Tf1+ 141.Lf5 Td1 142.Tc2 Td6+ 143.Ke5 Td1 144.Ke6 Te1+ 145.Kf6 Td1 146.Tc8+ Td8
Schwarz hat weiter alles im Griff.
147.Tc7 Td1 148.Tc2 Td6+ 149.Le6 Td1 150.Th2 Kd8 151.Tc2 Ke8
Wie oft gab es diese Stellung schon?
[Haben Sie noch den Überblick? – Sie haben sich vermutlich noch nicht sechs Stunden mit Schach beschäftigt, oder?]
152.Ta2
Als Verteidiger ist Geduld und Genauigkeit gefragt, doch beides geht nun verloren:
152…Tf1+ 153.Ke5 Te1+?? 154.Kd6 Td1+ 155.Ld5 Kf8 156.Tg2 1–0
[Wie hätte sich Schwarz verteidigen sollen? – Ein solches Drama haben zuletzt auch schon einige GM erlebt – Kopf hoch, Jan-Paul!]
Bei den Antworten geht es zunächst noch einmal mehr als 100 Züge zurück (zu Diagramm 2): Die Partie hätte einen Schönheitspreis verdienen können!
52.d5! Analysediagramm:
Der gefesselte Bauer e6 wird zum dritten Mal angegriffen! Gegen diesen Hebel hat Schwarz keine Antwort mehr, denn der Bauer kann nicht gut geschlagen werden!
52…cxd5 – der normale Zug wird auf elegante Weise widerlegt: 53.La4+! Ld7 54.Txg6 Txg6 (54…Lxa4 55.Dxg4!! Txg6 56.Dxa4+ und Weiß erhält einen Mattangriff!; 54…Dxg6 55.Txe6+ Kf7 56.Lxd7) 55.Dh8+ Tg8
Es sieht aus, als ob Schwarz alles im Griff hat, doch die schwarzen Verteidiger sind überlastet: 56.Txe6+!! Dieses fantastische Motiv kam leider nicht auf das Brett. 56…Dxe6 57.Dh5+! Dieses Diagonalschach legt das schwarze Problem frei: Der König hat keinen Bewegungsspielraum und ist mit seinen Deckungsaufgaben überlastet: 57…Df7 58.Lxd7+ Kxd7 59.Dxf7+ Kc6 60.Dxg8 und Weiß hat alles mit Ertrag zurück.
Auch der Tausch 52…Txh6 entlastet Schwarz nicht. 53.Dxh6 Dg6 (53…cxd5? 54.La4+! Ld7 55.Txe6+!!) 54.Dxg6+ Txg6 55.dxe6 Nun hat Schwarz zwar nur einen Bauern verloren, doch die Probleme sind nicht gelöst, denn sowohl e6–e7 als auch Th1 drohen.
Dreimalige Stellungswiederholung:
Nach dem 139. und 149. Zug ist die Stellung mit dem Zug 151….Ke8 schon zum dritten Mal auf dem Brett – doch wer hat in so einer Partie noch den Überblick?
Den halben Punkt retten…
Wenn der weiße Turm die c-Linie verlässt kann Schwarz mit 152….Kd8 auf die d-Linie gehen. Nach 153.Ta7 wird Kc7 verhindert, aber 153…Td2 ist ein guter Abwartezug. 154.Ke5 erfordert noch einmal Aufmerksamkeit! 154…Tb2, aber nicht 154…Td1?? 155.Ld5 und Weiß hat sein Ziel erreicht!
Diese Position muss der Angreifer anstreben und der Verteidiger verhindern. Schwarz ist machtlos gegen 156.Kd6, denn der schwarze König befindet sich im Mattnetz und der Ld5 kann mögliche Schachgebote von Schwarz parieren. Zum Beispiel 155…Ke8 156.Kd6 Kf8 157.Tf7+ Ke8 158.Tf2 Td4 159.Te2+ Kf8 160.Tg2 und Weiß zwingt Schwarz vor dem 165. Zug (50-Züge-Regel) in die Knie!
Daher ist 154…Tb2 wichtig!
155.Ld5 kann nun mit 155…Tb6 beantwortet werden!
Zu weiteren Feinheiten müssen wir dann lieber echte Endspielexperten befragen. – Vielleicht erläutert uns Karsten beim Training noch weitere Verteidungsmannöver – oder wir sehen uns einfach die Bücher oder DVDs noch einmal richtig an…
Abschließend möchte ich hier noch meine Hochachtung vor beiden Spielern äußern: Markus, der sich mit seinem Siegeswillen letztendlich durchsetzen konnte, aber auch vor Jan-Paul, der sich zäh verteidigt hat und am Ende kurz vor dem Ziel nicht mehr genügend Kraft und Durchblick hatte. – Dafür hat er zuvor Aljoscha Feuerstack besiegen können!